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Geschichte Abitur Beispielklausur [Inhaltsfeld 1]

Bisher haben wir uns den Abiturprüfungen sehr theoretisch genähert. Ihr habt gelernt, wie ihr euch langfristig auf die Abiturklausuren vorbereiten könnt, wie sie aufgebaut sind, was es mit Quellen auf sich hat, welche Aufgaben euch erwarten und auf welchen Grundlagen die Lehrer eure Lösungen überprüfen und bewerten.

Jetzt geben wir nun Butter bei die Fische.

Alles, was wir euch im theoretischen Teil vorgestellt haben, wenden wir nun Schritt für Schritt auf eine Reihe von Beispielklausuren an. Die Themen der Klausuren haben wir uns natürlich ausgedacht und können daher auch keine Garantie darauf geben, dass sie in dieser Form auch auf euch zukommen. Sie entsprechen aber alle thematisch den Inhaltsfeldern aus dem Zentralabitur des Landes NRW, welche wir euch in Kapitel 2.1 vorgestellt haben.
Auch bei den Lösungen müssen wir natürlich bei einem geringeren Umfang bleiben, als ihr in einer mehrstündigen Klausur niederschreiben könnt (und solltet). Wir beschränken uns daher auf die Kernelemente. Die Lösungen sind also nur Ausschnitte, die auf wichtige Punkte hinweisen, aber keine Komplettlösungen. Sie sollen euch als Hinweisgeber dafür dienen, wie ihr mit den euch gestellten Aufgaben umgehen könnt. Nebenbei könnt ihr sie aber auch zur Wiederholung der wichtigsten historischen Daten und Ereignisse der jeweiligen Inhaltsfelder nutzen.

Beispielklausur 1

Der vorliegende Auszug stammt aus der 14. Rede des deutschen Philosophen Johann Gottlieb Fichte. Diese Rede wurde 1807/1808 in Berlin als Vorlesung „Reden an die deutsche Nation“ gehalten. Da sie bei den Zuhörern sehr großen Anklang fand, wurde sie zu einem späteren Zeitpunkt auch gedruckt veröffentlicht.

„Es sind Jahrhunderte versunken, seitdem ihr nicht so zusammenberufen worden seid wie heute; in solcher Anzahl; in einer so großen, so dringenden, so gemeinschaftlichen Angelegenheit; so durchaus als Nation und Deutsche. Auch wird es euch niemals wieder so geboten werden. (…)

Wen diese Gegenwart nicht aufregt, der hat sicher alles Gefühl verloren. Ihr seid zusammenberufen, einen letzten und festen Entschluß zu fassen; keineswegs etwa zu einem Befehle, einem Auftrage, sondern zu einer Zumutung an euch selber. Eine Entschließung sollt ihr fassen, die jeder nur durch sich selbst und in seiner eigenen Person ausführen kann. (…)

Lasset vor euch vorübergehen die verschiedenen Zustände, zwischen denen ihr eine Wahl zu treffen habt. Gehet ihr ferner weiterhin so daher in eurer Dumpfheit und Achtlosigkeit, so erwarten euch zunächst alle Übel der Knechtschaft, Entbehrungen, Demütigungen, der Hohn und Übermut (…); ihr werdet herumgestoßen werden in allen Winkeln, weil ihr allenthalben nicht recht und im Wege seid; solange, bis ihr, durch Aufopferung eurer Nationalität
und Sprache, euch irgendein untergeordnetes Plätzchen erkauft habt, und bis auf diese Weise allmählich euer Volk auslöscht.

Wenn ihr euch dagegen ermannt zum Aufmerken, so findet ihr zunächst eine ehrenvolle und erträgliche Fortdauer, und sehet noch unter euch und um euch herum ein Geschlecht aufblühen, das euch und den Deutschen das rühmlichste Andenken verspricht. Ihr sehet im Geiste durch dieses Geschlecht den deutschen Namen zum glorreichsten unter allen Völkern erheben, ihr sehet diese Nation als Wiederherstellerin der Welt.

Es hängt von euch ab, ob ihr das Ende sein wollt und die letzten eines nicht achtungswürdigen Geschlechts, bei dessen Geschichte die Nachkommen sich freuen werden, wenn es mit ihnen zu Ende ist; oder ob ihr der Anfang sein wollt, der Entwicklungspunkt einer neuen, über alle eure Vorstellungen herrlichen Zeit, und diejenigen, von denen an die Nachkommenschaft die Jahre ihres Heils zähle.

Bedenket, daß ihr die letzten seid, in deren Gewalt diese große Veränderung steht. Ihr habt doch noch die Deutschen als Eins nennen hören, ihr habt ein sichtbares Zeichen ihrer Einheit, ein Reich und einen Reichsverband gesehen oder davon vernommen (…). Was nach euch kommt, wird sich an andere Vorstellungen gewöhnen, es wird fremde Formen und einen anderen Geschäfts- und Lebensgang annehmen; und wie lange wird es noch dauern, daß keiner mehr lebe, der Deutsche gesehen oder von ihnen gehört habe?

Was von euch gefordert wird, ist nicht viel. Ihr sollt es nur schaffen, euch auf kurze Zeit zusammenzunehmen und zu denken über das, was euch unmittelbar und offenbar vor den Augen liegt. Darüber sollt ihr euch eine feste Meinung bilden, derselben treu bleiben und sie in eurer nächsten Umgebung auch äußern und aussprechen. Das ist die Voraussetzung. Es ist unsere sichere Überzeugung, daß der Erfolg dieses Denkens bei euch allen auf die gleiche Weise ausfallen werde, und daß, wenn ihr nur wirklich denket und nicht hingeht in der bisherigen Achtlosigkeit, ihr übereinstimmend denken werdet, und daß die Einmütigkeit und Eintracht des Geistes von selbst kommen werde. Ist es aber einmal dazu gekommen, so wird alles Übrige, was uns nötig ist, sich von selbst ergeben.“ (Quelle: Eucken, Rudolf (Hg.), Fichte, Johann Gottlieb, Reden an die deutsche Nation, Leipzig 1915, S. 249 ff.)

Aufgaben:

  1. Analysieren Sie die Quelle.
  2. Stellen Sie die Rede Fichtes in den historischen Kontext bis einschließlich 1813.
  3. Beurteilen Sie die Rede Fichtes vor dem Hintergrund der Entstehungssituation, der weiteren Entwicklung und des vorliegenden Nationalismuskonzeptes.

Erwartungshorizont

Schon der kurze Vortext zur Quelle enthält wichtige Informationen, die ihr zum Bearbeiten der ersten Aufgabe benötigt. Darin werden der Autor und die Form der Quelle, so wie der Ort und die Zeit der Veröffentlichung genannt. Die Beantwortung der 7 W-Fragen ergibt dann folgendes:

  • Autor/Urheber: Der Philosoph Johann Gottlieb Fichte
  • Quelle: Rede aus der Vorlesungsreihe „Reden an die deutsche Nation“ (Primärquelle)
  • Ort und Zeit: 1807/1808 in Berlin
  • Anlass: schlechte wirtschaftliche und politische Situation Preußens
  • Ziel/Intention: Versuch, die Zuhörer argumentativ von der schlechten Lage zu überzeugen und das deutsche Nationalbewusstsein zu stärken
  • Adressaten: erst gebildetes Publikum in Berlin, nach Veröffentlichung dann an alle Deutschen gerichtet

Bei der vorliegenden Textquelle handelt es sich um einen Auszug aus einer Rede des deutschen Philosophen Johann Gottlieb Fichte.
Fichte hielt diese Rede im Rahmen der Vorlesungsreihe „Reden an die deutsche Nation“ in Berlin 1807/1808, also kurz nach der Erlöschung des Heiligen Römischen Reiches. Wenig später wurde die Rede auch gedruckt und veröffentlicht.
Die vorliegende Rede ist also eine Primärquelle.
Fichte fordert darin sein Publikum auf, sich der unbefriedigenden staatlichen und gesellschaftlichen Lage der Deutschen bewusst zu werden und diese unter Rückgriff auf das Konzept der „Nation“ zu verändern und zu verbessern.

Danach folgt die Einteilung des Textes in Sinnabschnitte und deren inhaltliche Wiedergabe in jeweils ein bis zwei Sätzen. Bei der vorliegenden Rede ist es sinnvoll, sich die Absätze genau anzuschauen und inhaltlich zu unterteilen. In der Musterlösung kommen wir auf vier Sinnabschnitte mit folgenden Inhalten:

Der erste Abschnitt (Z. 1-9) beinhaltet die Einleitung der Rede. Fichte spricht die Zuhörer nicht als Preußen, sondern als Deutsche und somit als Teil einer Nation an und sagt, dass jeder einzelne sich der besonderen historischen Situation bewusst werden solle, in der er sich befände.

Im zweiten Abschnitt (Z. 10-23) erläutert Fichte, dass den Deutschen zwei Wahlmöglichkeiten blieben. Sollten sie ihr Verhalten nicht ändern und weiterhin alles hinnehmen, wozu sie von äußeren Mächten gedrängt würden, so würden sie zunächst Kultur und Sprache verlieren, um schließlich als Volk aufhören zu existieren. Sollten sie sich jedoch ihrer schlechten Lage bewusst werden, so bestünde die Chance eines Aufblühens der Deutschen.

In Abschnitt drei (Z. 24-36) wiederholt Fichte seine Sorgen darüber, dass die Deutschen die Erinnerung an die staatliche und kulturelle Einheit mit dem Tod der aktuellen Generation verlieren könnten. Gleichzeitig zeigt er die Chance auf, als Anfangspunkt für eine Kette von aufblühenden weiteren Generationen zu fungieren.

Im letzten Sinnabschnitt (Z. 37-47) weist Fichte die Deutschen noch einmal darauf hin, über die Situation nachzudenken und verspricht ihnen, dass sie nach gründlicher Überlegung alle zum selben Ergebnis, nämlich dem Entschluss, etwas zu verändern, kommen würden. Das sei für ihn die Voraussetzung für die Eintracht und für ein gemeinschaftliches Nationalbewusstsein.

Nach der Einteilung und Wiedergabe der Sinnabschnitte könnt ihr die Gesamtaussage der Quelle noch einmal kurz zusammenfassen. Zum Beispiel so:

Zusammengefasst möchte Fichte den Zuhörern zeigen, dass sie in der Vergangenheit und in ihrer gegenwärtigen Situation von fremden Mächten ausgenutzt wurden und noch werden. Gleichermaßen zeigt er ihnen aber Möglichkeiten auf, wie sie als geeintes Volk mit einer gemeinsamen Intention etwas an ihrer Lage ändern können.

Aufgabe 2:

Die Aufgabestellung der zweiten Aufgabe verlangt, dass ihr die Quelle in den historischen Kontext bis einschließlich 1813 einordnet. Die relevanten historischen Ereignisse werden also nach oben hin zeitlich eingegrenzt. Mit welchen historischen Ereignissen ihr die Beschreibung des Kontextes beginnt, müsst ihr allerdings selbst entscheiden. Da die Quelle inhaltlich auf die schlechte Lage der Bevölkerung in den deutschen Staaten, insbesondere im Königreich Preußen, 1807/1808 anspielt, lohnt es sich, einen Blick auf die Ereignisse zu werfen, die im Vorfeld der Quelle stattgefunden haben und die zu den schlechten Verhältnissen geführt haben könnten. Hier lassen sich drei verschiedene Entwicklungen finden, die zu den in der Quelle geschilderten Umständen passen:

1. Die Bedrohung des Heiligen Römischen Reiches durch Napoleon

  • 1801:
    Frieden von Lunéville: Eingliederung der linksrheinischen Gebiete des Reiches nach Frankreich. Folgen: Säkularisation und Mediatisierung im Reich.
  • 1804:
    Napoleons Selbstkrönung zum Kaiser – Provokation des Römischen Kaisers und des russischen Zaren.
  • 1805:
    Niederlage Österreichs und Russlands gegen Frankreich bei Austerlitz.
  • 1806:
    Niederlagen Preußens gegen Frankreich bei Jena und Auerstedt. Frieden von Tilsit: Preußen muss 50 % seines territorialen Besitzes an Frankreich abtreten – Preußen gerät in politischen und wirtschaftlichen Notstand.

2. Die Situation der Bevölkerung im Königreich Preußen:

  • Vor Napoleon: Feudalsystem/Grundherrschaft: Fokus auf Landwirtschaft – Bauern waren abgabepflichtig gegenüber den Grundherren – Einfache Bevölkerung wurde von Adel und Klerus wirtschaftlich ausgebeutet.
  • Durch Napoleon: wirtschaftlicher und militärischer Zusammenbruch Preußens, Gebietsabtretungen.
  • Ab 1806: französische Fremdherrschaft bedroht den Bestand des Königreichs Preußen – Ausbeutung der Bevölkerung hat weiterhin Bestand.
  • 3. Die preußischen Reformen ab 1806:

  • Reaktion auf die preußische Notsituation nach den Niederlagen gegen Frankreich 1806.
  • Preußischer König beruft die Adeligen Stein und Hardenberg in wichtige Regierungsämter.
  • Ziele der Reformen: Aufschwung Preußens; Zurückdrängung von Napoleons Einfluss.
  • Maßnahmen: Verwaltungs-, Wirtschafts-, Bildungs-, und Militärreform – dem Adel sollte zu Gunsten der einfachen Bevölkerung einige Privilegien entzogen werden
  • Gleichheit in persönlicher Freiheit und vor dem Gesetz
  • Nach anfänglicher Unterstützung versucht Napoleon, die Reformen zu verhindern – Stein und Hardenberg müssen nach Russland fliehen.
  • Diese drei Entwicklungsstränge stehen im unmittelbaren Zusammenhang mit der Quelle. Fichtes Bestrebungen, das Bewusstsein der Bevölkerung zu schärfen, um ihre schlechte Lage zu erkennen, diese ändern zu wollen und ein Nationalgefühl auszubilden, können aus den folgenden Gründen direkt auf die genannten Entwicklungen bezogen werden:

  • Fichte will, dass die Deutschen die von Ihren Fürsten verantwortete katastrophale Lage nicht weiter hinnehmen oder sie ignorieren. Sie sollen sie erkennen und handeln.
  • Er sieht die Herrschaft Napoleons als Gefahr für den Bestand des deutschen Volkes. Die Ausbildung eines Nationalbewusstseins soll also vor den französischen Einflüssen schützen.
  • Die preußischen Reformen haben für Fichte das Potenzial, die wirtschaftliche und soziale Situation der Bevölkerung zu verbessern. Die Ausbildung eines Gemeinschaftsgefühls kann also als Druckmittel funktionieren, um eine solche Entwicklung zu gewährleisten.
  • Nachdem ihr die Ursachen in Verbindung mit der Quelle gebracht habt, schaut ihr euch nun noch die Folgen bis einschließlich 1813 an. Hier lassen sich zwei verschiedene Entwicklungen herausarbeiten:

    1. Rückgang von Napoleons Macht in Europa

  • 1812:
    Napoleons Russlandfeldzug scheitert.
  • 1813:
    Niederlage Napoleons in der Völkerschlacht beiLeipzig.
  • Ab 1813:
    Befreiungskriege.
  • 2. Durchsetzung der Reformen in Preußen

  • Nach der Niederlage Napoleons 1813 konnten die Reformen von äußeren Einflüssen weitgehend ungehindert fortgeführt werden.
  • Adel wehrt sich gegen Reformen.
  • Trotzdem beinahe vollständige Durchsetzung der Reformen bis 1815 – Adel verliert Privilegien, Situation größerer Bauern verbessert sich, Kleinbauern blieben aber weiter abgabepflichtig.
  • Die Deutung der Quelle könnte also so aussehen:

    1799 hatte Napoleon durch einen Staatsstreich die Macht in Frankreich übernommen und sich 1804 selbst zum Kaiser gekrönt. In einer Reihe von Feldzügen (den sogenannten Napoleonischen Kriegen) konnte Frankreich seine Macht in Europa ausweiten und seine Rivalen in wechselnden Koalitionen zurückdrängen. In der Folge wurde das Staatensystem Europas, u. a. mit der Gründung des Rheinbundes und der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, durch Napoleon grundlegend verändert. Auch das Königreich Preußen, welches sich 1806 gegen Frankreich wandte, erlitt u. a. bei Jena und Auerstedt entscheidende Niederlagen, wurde teilweise französisch besetzt und musste den Verlust von über 50 Prozent seines Territoriums hinnehmen.

    Fichte bezieht sich in seiner Rede vor allem auf die Situation der preußischen bzw. deutschen Bevölkerung seit dem Sieg Napoleons 1807. Bis zu seiner Niederlage gegen Frankreich hatte sich in Preußen eine weitgehend anachronistische Form einer aufgeklärten absolutistischen Feudalherrschaft erhalten. Bauern bewirtschafteten Höfe und Güter, die größtenteils adligen Grundherren gehörten, und mussten Abgaben und Steuern an diese entrichten. Die Bauern hatten sehr unter der Last der Abgaben zu leiden und wurden vom Adel regelrecht ausgebeutet. Nachdem Preußen nach den Niederlagen gegen Frankreich 1806 aber in eine wirtschaftliche Notlage geraten war, wurden die Reformer Stein und Hardenberg in wichtige Regierungsämter berufen. Ihr Konzept einer Staats- und Verwaltungsreform beruhte auf der Aufklärung und wurde von militärischen und wissenschaftlichen Reformen flankiert. Unter anderem sollten dem Adel einige seiner Privilegien entzogen werden, um das einfache Volk zu entlasten. Ihr endgültiges Ziel war es, die Voraussetzungen für eine Befreiung Preußens von der französischen Fremdherrschaft zu schaffen. Napoleon, der die Reformen zunächst unterstützt hatte, versuchte im weiteren Verlauf, sie zu verhindern. Stein und Hardenberg mussten kurz darauf ihre Ämter niederlegen und nach Russland fliehen.

    Hier setzt Fichtes Rede an. 1806, kurz nach dem Beginn der Reformen, sieht Fichte für die Bevölkerung zwei Probleme, nämlich die Fremdherrschaft Frankreichs und die Unterdrückung der einfachen Bevölkerung. Seine Rede stellt einen Aufruf an die Zuhörer dar, sich ihrer schlechten Lage bewusst zu werden und ein Gemeinschaftsgefühl zu entwickeln. Er warnt vor der „Auslöschung der Deutschen“, sollte es den Deutschen nicht gelingen, die inneren Differenzen zu überbrücken. Damit meint Fichte auch einen gerechteren Umgang der Stände untereinander.
    Das Scheitern von Napoleons Russlandfeldzug 1812 und seine Niederlage in der Völkerschlacht bei Leipzig 1813 dämmten seinen Einfluss in Europa deutlich ein. Nun konnten die preußischen Reformen fortgeführt werden, auch wenn der Adel sich nach wie vor dagegen wehrte. Die wirtschaftliche Situation der größeren Bauern verbesserte sich, kleinere Höfe blieben aber weiterhin abgabepflichtig. Dennoch war es durch die gleichzeitig vorangetriebene Bildungsreform nun möglich, dass auch die Kinder der einfachen Bevölkerung Gymnasien besuchen und somit eine bessere Schulbildung erhalten konnten.

    Aufgabe 3

    Die dritte Aufgabe fordert, dass ihr die Quelle hinsichtlich ihrer Entstehung, der weiteren historischen Entwicklung und ihres Nationalismuskonzeptes beurteilt. Erinnert euch bitte noch einmal an die Operatoren und macht euch bewusst, was „beurteilen“ in diesem Fall bedeutet. Es geht darum, „[d]en Stellenwert historischer Sachverhalte in einem Zusammenhang [zu] bestimmen, um ohne persönlichen Wertebezug zu einem begründeten Sachurteil zu gelangen.“ Diesen Teil erledigt ihr auf Grundlage der Einordnung in den historischen Kontext in Aufgabe 2. Um ein Sachurteil zu fällen, solltet ihr folgende Punkte noch einmal aufgreifen:

    In Frankreich und den USA hatten sich im 17. Und 18. Jahrhundert unter sehr unterschiedlichen Voraussetzungen Nationalstaaten entwickelt, die als Vorbild für nationale Bewegungen in anderen Teilen der Welt dienten. In Frankreich hatte eine starke, zentralisierte Monarchie Zug um Zug die meisten Teile des Landes unter ihre Kontrolle gebracht. In den USA hatte der Unabhängigkeitskrieg gegen Großbritannien aus britischen Kolonisten Amerikaner gemacht. Im Heiligen Römischen Reich, das zu dieser Zeit aus mehr als 300 Einzelstaaten bestand, gab es eine solche Entwicklung nur in Ansätzen. Zwischen den einzelnen Staaten herrschten Rivalitäten und teilweise sogar kriegerische Auseinandersetzungen. Zwar existierte ein diffuses Gefühl eines gemeinsamen Kulturraumes, aber das Fehlen eines Einheitsstaates verhinderte eine weitere Entwicklung in diese Richtung. Fokuspunkt blieben immer die Einzelstaaten. Dies verstärkte sich nach der Auflösung des Reiches noch weiter, als Teile der deutschen Staaten unter französische Abhängigkeit gerieten. Fichte, der seine Rede im Königreich Preußen, einem der größten ehemaligen Teilstaaten des Heiligen Römischen Reiches, hielt, bezog sich aber dadurch, dass er die Bevölkerung mit „die Deutschen“ ansprach, auf die gesamte Bevölkerung des ehemaligen Reiches. Für ihn war klar, dass nur die Schaffung eines einheitlichen Nationalbewusstseins und die Bündelung aller nationalen Kräfte die innere gesellschaftliche wie politische Zerrissenheit der Deutschen beenden könnte. Seine Vorlesungen bildeten einen wichtigen Auftakt für die Entwicklung eines gemeinsamen Nationalgefühls und wurden breit rezipiert. Tatsächlich sollte aber erst die gemeinsame Erfahrung der Befreiungskriege gegen Napoleon einige Jahre später dem Nationalismus der Deutschen einen entscheidenden Schub versetzen. Obwohl auch nach 1815 zunächst kein Nationalstaat auf deutschem Boden entstand, bildeten sie bis zur Gründung des Kaiserreiches einen Fixpunkt, an dem sich die nationale Bewegung orientieren und den sie zur Bündelung ihrer Kräfte nutzen konnte.